Krankheit
Ich verstehe Krankheiten als Entwicklungs- oder Anpassungskrisen. Diese Vorstellung betont den sinnenhaften Aspekt von Krankheit. Es geht nicht nur darum, eine Funktionsstörung zu sehen, sondern den Blick dafür zu schärfen, dass das Krankheitsgeschehen einen Versuch des Betroffenen enthält, sich selbst aus einem Entwicklungsstillstand zu befreien. Im günstigsten Fall gelingt es, sich durch die Lebenskrise als Mensch zu verändern und so eine Blockierung der persönlichen Entwicklung zu überwinden.

 

Entwicklung
Menschen sind nicht ein für alle mal fest gefügte Wesen, sondern sie befinden sich permanent in einer individuellen, nur mit dem Tod endenden Entwicklung. Dabei sind in verschiedenen Entwicklungsphasen verschiedene Aspekte wichtig und es gelten jeweils andere Gesetzmäßigkeiten. Bei Kindern ist dies offensichtlich, aber auch in späteren Lebensphasen ist es entscheidend, zu verstehen, um welchen Entwicklungsbereich es jeweils gerade geht, weil Aspekte der früheren Entwicklung im späteren Leben immer wieder auftauchen und auch dann noch eine wesentliche Rolle spielen.

 

Beziehung
Um sich entwickeln zu können, brauchen Menschen Beziehungen. Aber nicht jede Beziehung hilft auf gleiche Weise dabei, uns weiterzuentwickeln. Wir erinnern uns alle an Menschen, die für unsere Entwicklung eine besondere Bedeutung hatten. Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist deshalb bei meinem Krankheitsverständnis von zentraler  Bedeutung. Ich verstehe mich als zugewandten, kompetenten Partner in angemessener Distanz, dessen Standpunkt klar und nachvollziehbar ist. Meine Aufgabe ist es, bei der Bewältigung von Entwicklungskrisen zu helfen, indem ich auf die Beziehungssuche des Kranken auf eine der jeweiligen Entwicklungsebene angemessene Art eingehe und versuche seine individuelle Problematik gemeinsam mit ihm zu verstehen.

 

Tod
Der Tod gehört zum individuellen Leben wie der Schluss zu jeder Geschichte. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, den Tod aus dem Leben zu verbannen oder ihn um jeden Preis hinauszuzögern. Das lässt sich leicht theoretisch sagen, in der konkreten Situation ist es immer wieder schwer, diese Haltung einzunehmen. Aber auch wenn wir mit der verzögerten Entwicklung eines Menschen konfrontiert sind, ist das Thema Tod anwesend. Manchmal wird die Bedeutung blockierter Entwicklung erkennbar, wenn Menschen durch die Konfrontation mit ihrem Tod eine Blockade überwinden. Wenn dies gelingt. kann der Tod einen Teil seines Schreckens verlieren, misslingt dies, bleiben wir ratlos und verletzt zurück. Auch deshalb sollten unsere Anstrengungen bei blockierten Entwicklungsprozessen ansetzen.

Druckversion | Sitemap
© Matthias Wellershoff